Vortrag: Wie wir über Stress denken macht einen Unterschied

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2009 erklärte die Weltgesundheitsorganisation, Stress sei eine der größten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts.Zu den häufigsten Gründen, weswegen Patienten den Arzt aufsuchen, gehören – neben Schwangerschaftsuntersuchungen und Rückenschmerzen – psychische und psychosomatische Gründe: Angsterkrankungen, Depressionen, Stress.

Laut einem Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse fühlt sich jeder dritte Beschäftigte stark erschöpft, bereits jeder fünfte gibt an, unter gesundheitlichen Stressfolgen zu leiden.

Sind wir die Opfer einer evolutionären Überlebensstrategie? Ist Stress lediglich eine Belastung, die unseren Blutdruck in die Höhe treibt, das Immunsystem schwächt und unsere Gesundheit gefährdet? Oder bereitet er uns darauf vor, wichtige Aufgaben mit maximaler Effektivität und Kraft erledigen zu können? Das hängt zu einem nicht unerheblichen Teil von unserer Einstellung dazu ab.

Selbstverständlich können Sie durch die Feldenkrais-Methode lernen, Stress abzubauen. Aber ist das der einzige Faktor? 

Wir sind Stress nicht hilflos ausgeliefert – und können seine positiven Eigenschaften auch in unserem modernen Leben nutzen. Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass es für unsere Gesundheit eine entscheidende Rolle spielt, wie wir über Stress denken.

In einer Studie der Universität Wisconsin wurden fast 30 000 erwachsene Amerikaner über einen Zeitraum von acht Jahren beobachtet. Ihnen wurden unter anderem folgende Fragen gestellt:

  1. Standen Sie im letzten Jahr zeitweise unter Stress?
  2. Glauben Sie, Stress sei gesundheitsgefährdend?

Anhand öffentlicher Todesstatistiken wurde die Zahl der Todesfälle erfasst.

Das Sterblichkeitsrisiko von Menschen, die im letzten Jahr nach eigenen Angaben lange und extreme Stressperioden durchlebten, stieg um 43% – allerdings nur, wenn sie glaubten, dass Stress ihre Gesundheit gefährde.

Menschen, die zwar angaben, unter Stress zu stehen, den Stress aber nicht in Bezug zu ihrer Gesundheit setzten oder sogar als positiv deuteten, wiesen dagegen kein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko auf – ihre Todesrate lag sogar unter derjenigen der Studienteilnehmer, die kaum Stress ausgesetzt waren.

(Obwohl dazu keine Daten vorliegen, liegt die Schlussfolgerung nahe, dass diese Beziehung nicht nur im Rahmen der Todesfälle, sondern auch für alle anderen stressrelevanten Ereignisse wie die Schwächung des Immunsystems, Blutdruck, und psychosomatischen Krankheiten gilt).

Ein möglicher Grund für diese Ergebnisse: das Gefühl, einer Situation nicht hilflos ausgeliefert zu sein, sondern über sich selbst bestimmen zu können, wirkt sich deutlich positiv auf die Gesundheit aus.

In einer Studie der Universität Harvard konnte darüber hinaus nachgewiesen werden, dass allein der Gedanke, eine Stressreaktion als positiv zu sehen, Reaktionen des kardiovaskulären Systems verändern konnte – hin zu einer positiven, statt gesundheitsgefährdenden Reaktion.

Laut der amerikanischen Psychologin Kelly McGonigal kann allein diese Reaktion den Unterschied machen zwischen „einem stressbedingten Herzinfarkt mit fünfzig und einem langen Leben bis neuzig“.

In ihrem TED-Talk (leider nur auf Englisch erhältlich) ruft Kelly McGonigal dazu auf, Stress als positiven Effekt zu sehen, und weist auf einen ungewohnten Mechanismus zur Stressreduktion hin: Stress stärkt soziale Beziehungen.

„Nach einem Sinn in Ihrem Leben zu suchen ist besser für ihre Gesundheit, als Unwohlsein zu vermeiden. Konzentrieren Sie sich auf die wichtigen Dinge in ihrem Leben, und trauen Sie sich zu, mit dem daraus folgenden Stress umgehen zu können.“       Kelly McGonigal

Flow

Wie lassen sich diese Erkenntnisse auf unser Arbeitsleben übertragen? Wie wird Stress positiv, und Arbeit mühelos? Die Antwort könnte im so genannten "Flow" liegen.

Flow bezeichnet das als beglückend erlebte Gefühl eines mentalen Zustandes völliger Vertiefung und restlosen Aufgehens in einer Tätigkeit, die wie von selbst vor sich geht.

Nach Mihály Csíkszentmihályi bedingt das Eintreten von Flow-Gefühl klare Zielsetzungen, eine volle Konzentration auf das Tun, das Gefühl der Kontrolle der Tätigkeit, den Einklang von Anforderung und individuellen Fähigkeiten jenseits von Angst oder Langeweile in scheinbarer Mühelosigkeit.

Ein besonders intensives Flow-Erleben fand der Psychologe Siegbert A. Warwitz bei Menschen, die sich bis an die Grenze ihrer physischen, psychischen und mentalen Möglichkeiten verausgaben. Er erklärt dieses Phänomen damit, dass die extreme Herausforderung eine intensive Ausschüttung von Glückshormonen bewirkt, weil der Handelnde spürt, dass seine Leistungsfähigkeit auch einer unglaublich schwierigen Aufgabe noch gewachsen ist. Nach Warwitz kommt das extreme Flow-Erleben eher unter Bedingungen zustande, die hohe Eigenleistungen erfordern, als im bequemen Luxusmilieu.

Ein weiteres Merkmal des Flows ist das Spiel: ein völliges Eins-seins mit sich und der Welt.

Nicht jede Arbeit lässt sich so gestalten - aber wir können die Einstellung einer intensiven Zuwendung auf den Augenblick wieder erlernen.

Zum Weiterlesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Flow_(Psychologie)

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