Was ihr seht existiert nicht.
Wir erschaffen Informationen
Schreibt oder tippt ein O und ein X auf ein weißes Blatt Papier. Die Buchstaben sollten etwa sechs Zentimeter auseinander liegen.
Deckt ein Auge mit der Hand ab. Nährt euch mit dem anderen Auge dem Bildschirm und seht unverwandt und ohne zu blinzeln auf das O. In der Periphie ist das X zu sehen.
Sobald man sich langsam vom Bildschirm weg bewegt- sieht man, dass das X an einem bestimmten Punkt verschwindet (in etwa 18 cm, der dreifachen Distanz zwischen den Buchstaben) : Dann liegt das X im blinden Fleck, das Gehirn füllt die Stelle automatisch mit den naheliegenden Informationen aus - in diesem Fall dem weißen Hintergrund des Bildschirms.
Solange beide Augen geöffnet sind - mit ähnlicher Dominanz - werden Informationen aus dem Auge gesehen, dass das jeweils interessantere Bild liefert.
Dabei werden nicht nur glatte Flächen ersetzt, sondern auch Muster - wenn wir auf eine Landschaft sehen, "erfindet" unser Gehirn Blätter, Bäume und Gras.
(siehe Graphik wikipedia) https://de.wikipedia.org/wiki/Blinder_Fleck_(Auge)
Ein weiterer Effekt wird eine Rolle spielen, wenn wir zur Dominanz der Augen kommen: wenn wir schielen, verschwindet unsere Nase. Es macht wenig Sinn für unser Gehirn, ständig das gleiche Bild - rechts/links unten ist deine Nase - zu betrachten.Bei annährend gleich starken Augen wird die Nase durch das jeweils interessantere Bild ersetzt, die Nase scheint damit seltsam transparent.
Ordnung aus dem Chaos
Aber der Gehirn leistet mehr, als nicht vorhandene Informationen zu erstellen - es korrigiert auch, ohne unser Wissen.
Seht lang genug in die Mitte des Bildes - und die unregelmäßigen Muster am Rand werden verschwinden.
Wir sehen, was wir kennen und erwarten
Was fällt euch an dieser Spirale auf? Dieses Mall könnt ihr eure Augen wandern lassen.
Nichts?
Dann versucht einmal, die Spirale mit den Fingern nachzuzeichen - und ihr werdet bemerken, dass das Bild in Wirklichkeit keine Spirale darstellt, sondern aus konzentrischen Kreisen besteht.
(Selbst mit diesem Wissen ist es mir nicht möglich, etwas anderes als eine Spirale zu sehen. )
Lust auf mehr Illusionen? https://ftw.usatoday.com/2016/07/14-optical-illusions-that-will-definitely-melt-your-brain
Die Augen: ein Einblick in unser Gehirn
Das alles könnte interessant oder unterhaltsam sein - aber es gibt einen Nebeneffekt. Wir sehen hier lediglich schwarz auf weiss, was unser Gehirn ständig macht - und wie wir, ohne es zu wissen, von uns selbst getäuscht werden.
In einer brillianten Studie von John Bargh (Yale University) wurden Probanden gebeten, Lebensläufe von Bewerbern für eine fiktive Arbeitsstelle zu evaluieren. Dabei wurden die Lebensläufe auf zwei verschiedenen Klemmbrettern angebracht - einem leichteren und einem schweren Klemmbrett.
In der Auswertung zeigte sich, dass die Lebensläufe auf den jeweils schwerern Brettern als "ernstzunehmender" eingestuft wurden.
Die "schwerwiegenden Faktoren" und das "Gewicht einer Entscheidung" wurden so metaphorisch durch haptische - aber vollkommen irrelevante - Faktoren übertragen.
In einer anderen Studie wurden die Probanden kurz und scheinbar beiläufig gebeten, einen Gegenstand zu halten, während ihnen eine relativ neutrale Beschreibung eines Menschen vorgelesen wurde. Wer eine warme Tasse gehalten hatte, neigte dazu, den Charakter des Menschen als eher "warmherzig" zu beschreiben - wer einen Eistee in der Hand hatte, empfand den Menschen eher als kühl und distanziert. Möchtet ihr einen Menschen von einer eher konservativen Ansicht überzeugen? Führt die Unterhaltung neben einem Mülleimer. Sobald durch den Gestank die Insula aktiviert ist - eine Gehirnregion, die mit Gefühlen von Ekel assoziiert ist - neigen wir zu härteren moralischen Urteilen und einem konservativeren Weltbild.
Richter mit leerem Magen fällen statistisch signifikant härtere Urteile.
Der sogenannte Lady Macbeth-Effekt zeigt, dass wir unser Gewissen durch haptische Reize beruhigen können. Wir waschen unsere Hände in Unschuld. Pontius Pilatus und Lady Macbeth wussten, was sie taten. (Chen-Bo Zhong, University of Toronto / Katiue Liljenquist, Northwestern University, Macbeth-Effekt).
Wir sollten unserem Gehirn nicht blind vertrauen.